Bericht und Beobachtungen: 1. Kongress der Juristen_innen aus Nordkurdistan, Amed 28. – 29. September

Vom 28.-29. September 2013 fand in Amed (Diyarbakir) der erste Kongress der Juristen_innen aus Nordkurdistan statt. Ich war zu dem Zeitpunkt des Kongresses in Kurdistan, so dass ich spontan an dem Kongress teilgenommen habe.

Zwar war ursprünglich eine aktive Teilnahme von Maf-Dad, in Form eines Vortrags, in der Duskussion. Aufgrund unterschiedlicher organisatorischer Gründe konnte das nicht verwirklicht werden. Neben meiner Beobachterrolle, hatte ich die Gelegenheit u.a. Anwälte von Asrin Hukuk Bürosu und einem Vertreter von TOHAV kennen zu lernen und mich mit ihnen auszutauschen.

Auf dem Kongress wurden verschiedene Themen angesprochen und diskutiert. Unter anderem waren das die Themenblöcke:

  • Bestimmung der rechtlichen Grundsätze in Nordkurdistan,

  • Die Grundsätze einer auf die „Demokratische Gesellschaft“ basierende verfassungsrechtliche und rechtliche Lösungsansätze,

  • Die Strategien und Methoden über die Kämpfe gegen die Kriminalisierung der Gesellschaft und Institutionen aus Kurdistan auf nationaler und internationaler Ebene,

  • Die Bestimmung der Methoden gegen die rechtswidrige Verhaltensweisen gegen A. Öcalan und anderen politischen Gefangene,

  • Die Schwierigkeiten der Organisation der Juristen_innen aus Nordkurdistan, Austausch der Erfahrungen und Lösungsansätze,

  • Bericht der Delegation aus West-Kurdistan (syrisch-Kurdistan) und

  • Diskussion, Erörterung und Verabschiedung der Abschlussdeklaration

In diesen Sitzungen wurden u.a.

  • Das Recht in Kurdistan seit der Gründung der türkischen Republik vorgestellt

Ra M. Emin Aktar führte aus, dass es eine Kontinuität in dem Handeln und Vorgehen des Staates festzustellen sei. Der Staat sei stets bestrebt, für sein Handeln und Vorgehen eine juristische Grundlage zu schaffen. D.h. das Verhalten des Staates war in der Regel „rechtmäßig“ (legal) im dem Sinne, dass Rechtsgrundlagen für sein Handel vorhanden waren.

  • Ein anderer Referent ging der Frage nach, ob das demokratische Recht, als Teil des Projekts „Demokratische Moderne“, als Alternative fungieren kann

  • Bei der Erörterung und Diskussion der Themen wurde im Hinblick auf das bevorstandene „Demokratisierungspaket“ vorgeschlagen, dass dieses Paket in Bezug auf seinen juristischen Teilen/Aspekten zu beobachten. Insbesondere sollte untersucht werden, was das Paket und die einzelnen Regelungen umfassen, ob sie ausreichend sind und wie ihre Umsetzung vorangeht

  • Die Studierenden berichteten über ihre Probleme, die rechtswidrigen Praxen gegen sie und trugen ihre Forderungen vor. Das waren in der Regel allgemein gehaltene, aus anderen Berichten und Medien bereits bekannte Sachen

  • Ein interessanter Aspekt war die Frage, ob es um das Recht der Kurden bzw. um das Recht aus Kurdistan gehen soll oder das Recht, welches der Staat auf Kurden/Kurdistan anwendet oder anwenden soll. In diesem Zusammenhang wurde mehrmals die Frage gestellt, ob bei den Erörterungen nur in Grenzen des staatlichen Rechts überlegt und diskutiert werden soll oder ob es nicht um ein Recht jenseits des Staates gehen soll. Letztendlich wurde dieser Aspekt aus meiner Sicht nicht hinreichend erörtert und beantwortet

  • Weiterhin wurde die Frage diskutiert, ob die Staatsbildung dem Rechtsbildung und -Erschaffung folgt oder umgekehrt. Mit anderen Worten, ob zunächst es um die Frage der Staatsbildung gehen muss und erst danach um die Frage nach dem relevanten Rechts bzw. umgekehrt. Dabei wurde auch der Punkt diskutiert, ob ohne Freiheit es möglich ist, dass Kurden/Kurdistanstämige ihr Recht erschaffen können.

  • Ein wichtiger Punkt war auch die Frage nach der neuen Verfassung in der Türkei. Sollte/Würde diese die letzte Verfassung der alten Türkei sein oder die erste Verfassung der neuen Türkei? In Rahmen der Dikussion um die neue Verfassung wurde die Rolle der Verfassung und die Lösung der kurdischen Frage (Kürt Meselesi) diskutiert. Meral Danis Bestas (Vertrerin von BDP in der Verfassungskommission) berichtete über die Erfahrungen und Verhandlungen in der Kommission. Im Wesentlichen hat sie vorgetragen, dass es kaum Bewegung bei den grundlegenden Fragen wie muttersprachliche Bildung, Staatsangehörigkeit und Strukturierung des Staates (Dezentralisierung, Autonomierechte usw.) gegeben habe. Die meisten verabschiedeten Normen würden individual (Menschen-) Rechte betreffen, über die keine unterschiedlichen Positionen gebe. Bei den grundlegenden Fragen gäbe in der Regel kein Unterschied zwischen den anderen Parteien (AKP, CHP und MHP) und ihrer Gegnerschaft

  • Die Frage der Staatsangehörigkeit wurde von einem anderen Referenten ausführlich erörtert und verschiedene Formulierungen vorgestellt, die eine Lösung anbieten könnte

  • Wichtig fand ich die Frage nach der völkerrechtlichen Grundlage einiger Rechte, die für die Lösung der kurdischen Frage von Bedeutung sein könnte bzw. zentral sind. Es ging also um die Frage, ob die Rechte wie zum Bsp. Bildung in der Muttersprache, Recht auf Verwendung der kurdische Sprache oder Autonomierechte im Völkerrecht eine Grundlage haben. In diesem Bereich gebe es zu wenig Informationen und fundierte Analysen. In diesem Zusammenhang wurde auch auf die Klagemöglichkeiten vor internationalen Gerichtsforen hingewiesen und dass auch hier nicht genug Wissen vorhanden wäre

  • Im Hinblick auf die Isolation von A. Öcalan und anderen politischen Gefangenen wurde erörtert, wie gegen die Isolation vorgegangen werden könnte. Unter anderem wurde angeregt und diskutiert, eine Unterschriften-Aktion unter Juristen_innen zu starten. Ausserdem gab es die Idee eine_n Ausschuss/Kommission/Delegation aus (nationale oder internationalen) Juristen_innen zu organisieren, die A. Öcalan auf Imrali Insel besuchen sollen. Darüber hinaus wurde angeregt, sowohl den politischen als auch den juristischen Kampf auf der internationalen Ebene zu führen. U.a. soll mit NGO`s oder Organisationen wie Amnesty Gespräche geführt und um Unterstützung bemüht werden. Zuletzt wurde diskutiert, wie die Isolation dokumentiert werden kann

  • Von vielen Teilnehmern_innen wurde auch die Situation der kranken Gefangenen angesprochen. Es wurde darauf hingewiesen, dass hier ein dringender Handlungsbedarf bestehe.

Insgesamt war es eine sehr interessante Veranstaltung. Es wurde von allen Teilnehmern_innen betont, dass es sich um ein historisches Ereignis handeln würde. Zugleich wurde aber auch hervorgehoben, dass dies nicht bei einer einmaligen Veranstaltung bleiben dürfe. Deshalb wurde am Ende intensiv über die Formen eine kontinuierlichen Arbeit und Organisation diskutiert. Es wurde mehrmals dafür plädiert, möglichst viele Organisationen, Parteien und Stimmen mit in die Arbeit beziehen. Es sollte bemüht werden, Gruppen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht bei dem ersten Kongress dabei waren, in die Arbeit einzubeziehen.

Die Diskussionen waren sehr lebendig und vielseitig. Es wurde über sehr viele unterschiedliche Aspekte und Themen gesprochen. Die Organisatoren und Beteiligten Akteure_innen waren für neue Ideen und Überlegungen, aber auch Kritik, offen. Zu bemängeln ist, dass teilweise in dem bereits betehenden Rahmen und mit bekannten Tatsachen/Informationen operiert wurde. Innovative Ideen in Bezug auf ein Recht ohne Staat oder jenseits des Staates, blieben aus oder auf einige Vorschläge wurde überhaupt nicht eingegangen. Schließlich waren in den entscheidenden Punkten die Ideen, Diskussionen, Vorschläge und Handlungsweisen oft (zu) oberflächlich.

Berlin, 22.11.2013