20 Jahre PKK-Verbot

Heike Geisweid

Berlin, 28 N0vember 2013

Liebe Freundinnen und Freunde,

vor 20 Jahren hat der damalige Innenminister Kanther ein Betätigungsverbot für die Kurdische Arbeiterpartei PKK erlassen.

Damit wurde die Grundlage geschaffen für eine der längsten und umfassensten Kriminalisierungen einer ausländischen politischen Gruppierung und deren Mitglieder und Sympathisantinnen und Sympathisanten in der Bundesrepublik Deutschland.

Vor 20 Jahren hatte der Krieg des türkischen Staates gegen das kurdische Volk einen blutigen Höhepunkt erreicht. Die Menschen in Kurdistan leisteten erbitterten Widerstand. Auch in Deutschland versuchten Kurdinnen und Kurden mit verschiedenen – teilweise spektakulären – Aktionen auf diese Situation aufmerksam zu machen.

Aber: Statt Menschenrechtsverletzungen, extralegale Hinrichtungen und systematische Folter gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei oder Kriegsverbrechen, wie Giftsgaseinsätze, gegen die Guerilla der PKK anzuprangern und das türkische Regime in die Verantwortung zu zwingen, reagierte die Bundesregierung auf Drängen der Türkei mit dem Verbot der PKK und bleibt dabei, bis heute.

Während die Türkei mit systematischer rassistischer Unterdrückungspolitik gegen die kurdische Bevölkerung vorging, wurde gleichzeitig in der Bundesrepublik Deutschland – gestärkt durch das PKK-Verbot – eine unglaubliche rassistische Hetze gegen Kurdinnen und Kurden betrieben.

Dem kurdischen Widerstand wurde eine legitime politische Dimension abgesprochen und Kurdinnen und Kurden wurden – hier wie in der Türkei – als Terroristen stigmatisiert und verfolgt.

Nachdem die EU im Mai 2002 die PKK auf die Terrorliste gesetzt hatte, war der Werkzeugkasten für Repression und Einschüchterung auch europarechtlich komplett.

Seit dem PKK-Verbot wurden und werden zahlreiche kurdische Vereine, Institutionen und Medien überwacht, durchsucht und geschlossen. Einzelpersonen – denen eine Mitgliedschaft zur PKK oder ein Sympathisantentum vorgeworfen wird – wurden und werden überwacht, eingeschüchtert und kriminialisiert.

Das PKK-Verbot führt bis heute dazu, dass

  • strafrechtlich politische Arbeit und Meinungsäußerungen kriminalisiert werden
  • ausländerrechtlich Aufenthaltsverfestigungen verweigert und Ausweisungen ausgesprochen werden und
  • Einbürgerungen abgelehnt werden

Die originär strafrechtliche Verfolgung angeblicher Kader der PKK erfolgt nach den sogenannten Organisationsdelikten der §§ 129, 129a und 129 b des Strafgesetzbuches. Mehr als 100 kurdische Aktivistinnen und Aktivisten wurden aufgrund dieser Tatbestände bereits zu Haftstrafen verurteilt. Und die aktuelle Entwicklung der Rechtsprechung läßt ein Ansteigen von Verfahren befürchten.

Erfolgten Anklagen und Verurteilungen bis 1997 noch als Mitglieder einer terroristischen Vereinigung, wurde die PKK dann „zurückgestuft“ zu einer lediglich kriminellen Vereinigung – bis vor zwei Jahren. Das Bundesjustizministerium entschied sodann im Rahmen des § 129b StGB, dass die PKK als ausländische terroristische Vereinigung einzustufen sei und die Justiz verurteilt seitdem, ohne Nachweise individueller Straftaten der Angeklagten, ohne Nachweis einer bestehenden Organisation im Inland. All dies ist im Rahmen des § 129b StGB nicht mehr erforderlich, solange das Ministerum seine Ermächtigung zur Verfolgung erteilt. Dies ist politische Strafjustiz par exellence.

Die Stigmatisierung der PKK als terroristische Organisation ohne völkerrechtliche Anerkennung ihres bewaffneten Kampfes gegen den türkischen Staatsterrorismus und systematische Menschenrechtsverletzungen wirkt sich auch unmittelbar auf die Asylrechtsprechung in Deutschland aus. Ehemaligen Mitgliedern der Guerilla wird wegen terroristischer Aktivitäten der PKK die Asylwürdigkeit abgesprochen, auf konkrete Handlungen kommt es nicht mehr an, eine nicht nur untergeordnete Einbindung in die Organisation genügt. Bereits anerkannten Asylberechtigten aus dem militanten kurdischen Widerstand wird mit denselben Argumenten ihr Asylstatus widerrufen.

Das PKK-Verbot selbst betrifft aber eine noch wesentlich größere Gruppe von Personen als die, denen eine Mitglieder in der PKK vorgehalten wird.

Über das Vereinsgesetz kann jede politische Betätigung, die mit der PKK in Verbindung gebracht wird, kriminalisiert werden. § 20 des Vereinsgesetzes stellt das Zuwiderhandeln gegen ein Vereinsverbot unter Strafe, worunter auch Nichtmitglieder oder sonst nicht organisatorisch eingebundene Dritte fallen, wenn ihr Verhalten für eine verbotene Vereinstätigkeit förderlich ist. Auf die Feststellung eines tatsächlich eingetretenen meßbaren Nutzens kommt es nicht an, es genügt eine vorteilhaft Wirkung.

Hierunter fassen Gerichte das Rufen von Parolen für die PKK oder Abdullah Öcalan, das Zeigen von Symbolen der PKK oder Fahnen bei Demonstrationen.

§ 20 Vereinsgesetz bildet die Grundlage für Razzien in kurdischen Vereinen und Privatwohnungen.

Unzählige Verfahren wurden wegen § 20 Vereinsgesetz eingeleitet. Gegen sämtliche 40.000 Kurdinnen und Kurden, die sich an der Unterschriftenaktion „Auch ich bin PKK´ler“ im Jahr 2001 beteiligt hatten, wurden zum Beispiel Ermittlungsverfahren eingeleitet. Tausende wurden zu Geldstrafen verurteilt. Die Gerichte gingen davon aus, dass mit der Kamapgane eine für die PKK förderliche Wirkung gewollt gewesen sei. Dass die Erklärung auf die Verleugnungspolitik des türkischen Staates aufmerksam machen wollte, war unerheblich. Allen, die sich später einbürgern lassen wollten, wurde die Teilnahme an der Unterschriftenaktion als einbürgerungsschädlich entgegengehalten.

Nicht nur wer als Mitglied einer terroristischen Vereinigung, auch wer wegen des Verstoßes gegen das Vereinsgesetz verurteilt wird, kann wegen Gefährdung der Freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der BRD ausgewiesen werden.

Aber auch außerhalb einer strafrechtlichen Verfolgung führen politische Betätigungen zu weitreichenden aufenthaltsrechlichen Konsequenzen für die Betroffenen.

Jegliche prokurdische Meinungsäußerung, jede prokurdische Demonstration kann – muss aber nicht – als Unterstützung der PKK bewertet werden. Welche politischen Aktivitäten PKK-Unterstützung oder PKK-Aktivitäten sind, definieren nämlich die Verfassungsschutzämter.

Regelmäßig interpretieren diese Ämter legale und friedliche kurdische Demonstrationen zu PKK-Demonstrationen um, kulturelle Veranstaltungen in kurdischen Vereinen werden zu PKK-Veranstaltungen, Vorstandstätigkeiten in kurdischen Kultur-, Moschee- oder Fußballvereinen – es reicht eine Anbindung an die Dachorganisation YEK-KOM – werden zu Aktivitäten regionaler PKK-Funktionsträger. Aus Trauerfeiern für getötete Angehörige werden Märtyrergedenkveranstaltungen der PKK in der Phantasie der Verfassungsschutzämter.

Ohne weitere Darlegungen zu den Informationsquellen werden über angebliche Funktionäre und tatsächliche oder vermeintliche Teilnehmerinnen und Teilnehmern von solchen Veranstaltungen Informationen gesammelt und den Ausländerbehörden zur Verfügung gestellt. Die Betroffenen erfahren meist erst im Rahmen einer Sicherheitsbefragung oder nach Antrag auf Einbürgerung von solchen „Erkenntnissen“.

Ob ein Besuch bei einer Veranstaltung im kurdischen Verein oder eine Teilnahme an einer angemeldeten Demonstration beim Verfassungsschutz registriert ist, wird Betroffenen dann bei der Einbürgerung als „tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten“ entgegen gehalten. Die Einbürgerungsbehörden sind von den jeweiligen Innenministerien angewiesen, keine Einbürgerungen vorzunehmen, wenn derartige „Erkenntnisse“ vorliegen.

Betroffenen, denen niederschwellige Vorwürfe gemacht werden – also zum Beispiel lediglich Demonstrationsbesuche – wird mitunter angeboten, verfassungsfeindliche Bestrebungen im Sinne der Verfassungsschutzämter zuzugeben und sich dann glaubhaft hiervon zu distanzieren, um in den Genuss der Einbürgerung zu kommen. Eine unglaubliche Erpressung.

Und die Ämter sammeln weiter fleißig Informationen über die gesamte kurdische Bewegung in Deutschland – hierzu werden gerade junge kurdische Menschen massiv vom Verfassungsschutz angesprochen und für eine Zusammenarbeit unter Druck gesetzt.

Wird kurdisches politisches Engagement als PKK-Aktivität bewertet, führt dies bei Gelisteten zudem zu Sicherheitsbefragungen, spätestens wenn ein Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gestellt wurde.

Wer zudem bei der Sicherheitsbefragung wahrheitswidrige Angaben macht – zum Beispiel zu solch kryptischen Fragen wie „Hatten Sie jemals Kontakt zu einer Person, von der Sie wissen, dass sie der PKK nahe stand, nahe steht oder angehört?“ – kann ausgewiesen werden.

Die Grenzen zwischen staatlich tollerierter Meinungs- und Demonstrationsfreiheit und sanktioniertem politischen Engagement sind verschwommen und je nach innen- und außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland enger oder weiter gefaßt – dies schüchtert ein und führt zu einem faktischen Maulkorb.

Das PKK-Verbot blendet politische Entwicklungen in der Türkei, wie auch ideologische und strukturelle Veränderungen der kurdischen Befreiungsbewegung komplett aus.

Während das PKK-Verbot der kurdischen Bewegung in Deutschland jede legitime politische Dimension abspricht, hat die Mehrheit in der Türkei längst begriffen, dass nur mit der PKK ein Friedensprozess in der Türkei möglich ist.

Während das PKK-Verbot in Deutschland eine demokratische Auseinandersetzung und Einflussnahme der kurdischen Bewegung behindert, fanden in der Türkei mehrfach Gespräche mit Abdullah Öcalan stellvertretend für die PKK und der Kurdischen Partei BDP mit der türkischen Regierung statt.

Zuletzt sagte Erdogan im Frühling 2013 der kurdischen Bevölkerung erweiterte politische und kulturelle Rechte zu, im Gegenzug erklärte die PKK einen einseitigen Waffenstillstand und den Rückzug der Guerilla. Diesen Friedensprozess zu unterstützen und gerade jetzt – wo er zu scheitern droht – politischen Druck auf die türkische Regierung ausüben zu können, wird in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden nicht möglich gemacht, ohne polizeiliche und juristische Verfolgung befürchten zu müssen.

Im aktuellen EU-Fortschrittsbericht wird von einer Notwendigkeit in der Türkei gesprochen, eine wirklich partizipative Demokratie zu entwickeln, die alle Segmente der Gesellschaft erfasst. In Deutschland verhindert gerade das PKK-Verbot eine solche partizipative Beteiligung von Kurdinnen und Kurden.

Und schließlich hat das PKK-Verbot angesichts der politischen Bedeutung der PKK auch nicht dazu geführt, dass sich die kurdische Bevölkerung in Deutschland von der PKK abgewandt hat. Im Gegenteil – nach Angaben der Bundesregierung hat sich die Zahl der PKK-Mitglieder von 6900 im Verbotsjahr 1993 auf mittlerweile 13000 fast verdoppelt.

Mit Repressionen und der Beschränkungen von Grundrechten in Deutschland lebender Menschen aufgrund ihrer Forderungen nach Demokratisierung, Einhaltung von Menschenrechten und Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts in der Türkei lassen sich keine politischen Probleme lösen.

Die Aufhebung des PKK-Verbots ist politisch längst überfällig.

Statt einen Friedensprozess in der türkisch-kurdischen Frage zu blockieren fordern wir – Aufhebung des PKK-Verbotes, jetzt sofort !